Schlaf der Verwesung, 1976, Bleistiftzeichnung auf Zeichenpapier
Schlaf der Verwesung, 1976, Bleistiftzeichnung auf Zeichenpapier

Über das Verhältnis von Freiheit und Wahrheit

Es gibt keine Freiheit ohne Wahrheitsstreben.

Materialistische oder vorgeblich naturalistische Philosophen, die die Freiheit des Menschen leugnen, drehen sich in ihren Gedanken und Annahmen im Kreis.

Allein das Erkenntnisstreben des Menschen erhebt ihn über äußere Zwänge, die eventuell durch neurophysiologische Faktoren zurückzuführen sein könnten und beweisen, dass sich die Prozesse seines Bewusstseins grundsätzlich auf einer Metaebene abspielen müssen. Zumindest in seinem Streben nach Erkenntnis, das ein Willensakt ist, zeigt sich der Mensch unabhängig von vermeintlichen Vorgaben, die durch materielle Strukturen und Prozesse bedingt sind. Freiheit ist zunächst und immer auch eine „Freiheit von“. Niemand hat aber jemals behauptet, dass es eine absolute Freiheit gäbe. Eine „absolute“ Freiheit wäre Willkür, und Willkür ist überhaupt keine Freiheit. Im Gegenteil wird jede Form der Willkür durch eine äußere Vorgabe unbekannten Ursprungs erzeugt, die der Handelnde nicht unter Kontrolle hat.
Freiheit ist aber auch eine „Freiheit zu“. Wir sind zumindest in unserer grundsätzlichen Willensrichtung, die wir aufgrund unserer Erkenntnisse und Überlegungen eingeschlagen haben, unabhängig von unseren aktuell bahnenden hirnphysiologischen Prozessen. Wenn diese ein Übergewicht gewinnen, so haben wir keine Handlungskontrolle, wir agieren dann gewissermaßen außerhalb unserer selbst und tragen keine vollständige Verantwortung für unser Verhalten. Aber auch in der Bildung unserer Ansichten, die bei klarem Bewusstsein und erhaltener Handlungskontrolle unabhängig von hirnphysiologischen Vorgaben erfolgt, sind wir nicht vollständig frei. Wir können in unseren Gedankenverbindungen zu falschen Schlüssen gelangen, nach denen wir dann unsere Handlungen ausrichten, Handlungen, die wir hinterher bereuen könnten. Dies kann auch auf grundsätzliche Zielsetzungen und weltanschauliche Lebensentwürfe zutreffen, die durch ein irregeleitetes Denken zustande gekommen sind. Auch hier ist bei zunehmender Erkenntnis eine Reue möglich. Trotzdem sind wir auch hier für unsere Taten voll verantwortlich. Denn es ist auch gar nicht unser Erkenntnisvermögen, das unsere Freiheit ausmacht, sondern unser Gewissen, das uns anzeigt, dass es eine Wahrheit gibt und ein durch dieses Gewissen aktiviertes Streben nach dieser Wahrheit. Wer dieses Gewissen und seine Regungen zugunsten egozentrischer Vorteile in sich blockiert, gerät zwar längerfristig in den Zustand der Unfreiheit, trägt aber dafür selbst die Verantwortung.